Hans SIEMSEN (1891-1969)
Er ist einer der großen Feuilletonisten der Weimarer Republik und ein Pionier unter den Filmkritikern. 1934 muss Hans Siemsen das Nazi-Deutschland, aufgrund seiner politischen Einstellung aber auch wegen seiner homosexuellen Veröffentlichungen, verlassen. Er emigriert zuerst nach Paris und entdeckt Sanary auf seinen Sommerreisen 1937 und 1939. Nach seiner Internierung in den Lagern Colombes und Chambaran findet er 1940 mit seinem Freund Walter Dickhaut Zuflucht in Sanary. Von den Nazis ausgebürgert flüchtet er 1941 in die USA.
Hans Siemsen wächst in einer westfälischen Pastorenfamilie als Jüngster von drei Brüdern und einer Schwester auf. Während des ersten Weltkriegs treten die Geschwister aus der Kirche aus und schließen sich den Sozialdemokraten an. Hans macht eine Lehre als Buchhändler und studiert kurzfristig Kunstgeschichte. 1913 zieht es ihn nach Paris, wo er mit den deutschen Künstlern vom Café du Dôme verkehrt, darunter auch Franz Hessel.
1916 und 1917 kämpft er im ersten Weltkrieg, wird schwer verletzt und unterstützt die bolschewistische Revolution am Kriegsende. Ab 1919 lebt er in Berlin und erwirbt sich einen guten Namen als Filmkritiker in verschiedenen Zeitschriften wie die Weltbühne, Berliner Tageblatt und die Frankfurter Zeitung. Er veröffentlicht Artikel über Charly Chaplin und Asta Nielsen, Jean Cocteau, über Jazz, Antisemitismus und Weiteres. Der Dichter und Kabarettist Joachim Ringelnatz ist sein Freund und der Schriftsteller Kurt Tucholsky bewundert ihn.1930 schickt ihn die Frankfurter Zeitung zu einer Reportage nach Russland, wobei Siemsen im Laufe der Jahre immer mehr Abstand zum Kommunismus nimmt. Er engagiert sich gegen den „Schwulen-Paragraphen“ 175 des StGB und gegen die Todesstrafe. Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen ist Hans Siemsen als homosexueller Sozialist zweimal bedroht. 1933 entkommt er rein zufällig seiner Verhaftung und flieht nach Paris. Dort lernt er den elf Jahre jüngeren Walter Dickhaut kennen und lieben. Die Erlebnisse seines Lebensgefährten verarbeitet er in seinem Roman Die Geschichte des Hitlerjungen Adolf Goers. Der Roman thematisiert die (verdrängte) Homosexualität in der Hitlerjugend. 1940 wird das Buch dank Klaus Manns Unterstützung in englischer Sprache veröffentlicht. Im gleichen Jahr wird Hans Siemsen ausgebürgert und kommt auf die Fahndungsliste des Reichssicherheits-Hauptamtes. 1947 wird die deutsche Ausgabe des Romans veröffentlicht.
Im Sommer 1937 entdeckt Siemsen Sanary zum ersten Mal und fährt dann wieder im Sommer 1939 hin, dieses Mal mit Walter Dickhaut. Bei Kriegsausbruch wird Siemsen im Colombes-Stadium interniert, anschließend in Mai/Juli im Lager von Chambaran. Er kann 1940 fliehen und kommt in Sanary in der Villa l’Enclos unter. Walter folgt ihm daraufhin und nach elfmonatiger Trennung leben sie wieder zusammen. Für Siemsen ist es ein Wunder, dass sie noch leben, wenn auch in sehr prekärer Lage. Sie haben alles verloren, Kleidung, Wäsche und alle ihre sonstigen Habseligkeiten. Sie leben in völliger Armut und jeden Moment kann sich alles zum Guten, aber auch zum Allerschlimmsten wenden. In dieser Situation ist das Wiedersehen mit dem langjährigen Freund Franz Hessel ein Lichtblick. Jedoch Franz, erschöpft von den beiden Aufenthalten im Internierungslager, stirbt im Januar 1941. Auf dem Friedhof von Sanary erweist Hans Siemsen dem Verstorbenen die letzte Ehre und hält vor der kleinen deutschen Gemeinschaft die Grabrede.
Im Februar 1941 verlässt Hans Siemsen mit Walter Sanary und begibt sich erneut auf die Flucht. Mit Hilfe von Varian Fry und Hubertus Prinz zu Löwenstein emigrieren sie über Lissabon in die USA.
Da die amerikanischen Behörden Walter Dickaut die Einreise nach Amerika verwehren, lässt Hans Siemsen sich allein in New York nieder. Zwei Jahre lang arbeitet er unter dem Pseudonym „Pastor Silesius“ für das Radio „die Stimmer Amerikas“, schafft es jedoch trotz dieser Arbeit nicht, sich zu etablieren. Die Verbindung zu den anderen Emigranten reißt ab, Freundschaften zerbrechen, er wird alkoholsüchtig. Schließlich kehrt er nach Europa zurück und befindet sich 1948 in Frankreich. Ein Jahr später nimmt ihn sein Bruder Karl in Düsseldorf auf. Siemsen kann der Schriftstellerei nicht mehr nachgehen und wird zum Pflegefall. Krank und vergessen stirbt er in einem Heim der Arbeiterwohlfahrt in Essen am 23. Juni 1969.
UM MEHR ZU ERFAHREN
Die Mediathek Jacques Duhamel in Sanary-sur-Mer bietet eine Sammlung von Büchern zum Thema Erinnerung an das Exil in Sanary.