Der aus Köln stammende Maler Anton Räderscheidt gilt als eine der Leitfiguren der künstlerischen Bewegung «die neue Sachlichkeit». 1935 verlässt er Deutschland mit seiner Lebensgefährtin Ilse Salberg, einer deutsch-jüdischen Fotografin, und deren zwei Kindern, um sich in Sanary in dem von Ilse gekauften Haus niederzulassen. Bei Kriegsausbruch wird er mit Ernst, Ilses Sohn, 1939 und 1940 in Les Milles interniert. Ilse wird mit ihrer Tochter Brigitte in Gurs inhaftiert. Im Winter 1940/41 finden sich alle wieder in Sanary ein, jedoch in prekärer Situation, da Ilses Vermögen in England blockiert wurde. Als italienische Truppen ihr Haus beschlagnahmen, werden sie ausgewiesen und von Gendarmen ins Hinterland nach Barjols abgeschoben. Dort wird Ernst bei einer Razzia verhaftet und anschließend nach Ausschwitz
deportiert. Mit Hilfe des Metzgers aus Barjols kann das Paar mit Ilses Tochter Brigitte in die Schweiz fliehen.

In Sanary verbringen Anton Räderscheidt und Ilse Salberg die glücklichsten Jahre ihres gemeinsamen Lebens. Sie lernen sich 1933 in Köln kennen, als Ilse noch in zweiter Ehe mit Räderscheidts Mäzen Rudolf Metzger, einem reichen jüdischen Juwelier, verheiratet ist. 1934 verlässt Ilse ihren Mann und folgt Anton nach Frankreich. Ihre beiden Kinder, Ernst Meyer, aus ihrer ersten Ehe, und Brigitte Metzger nimmt sie mit. Nach einem Aufenthalt in Paris ziehen sie nach Sanary und kaufen im Viertel La Cride ein Grundstück mit einem Haus, an welches sie ein Atelier für Anton anbauen. Sie verbringen die Hälfte ihrer Zeit in Sanary und die andere Hälfte in Paris, Sanary ist jedoch der Himmel auf Erden für sie. Dank Ilses Vermögen, sie stammt aus einer reichen jüdischen Kaufmannsfamilie, leben sie sorgenfrei. Sie haben ein schönes Auto, eine hochwertige Fotoausrüstung sowie eine Dunkelkammer für Ilse. Anschließend fahren sie zum Hafen in Sanary, kehren im Café de la Marine ein, halten aber Abstand zu den anderen Emigranten. Feuchtwangers sind ihre nächsten Nachbarn, jedoch pflegen Anton und Lion eine innige Feindschaft.

Am 3. September 1939 ändert sich der Status der politischen Exilanten mit der Kriegserklärung Frankreichs an Deutschland, sie sind jetzt “ Staatsangehörige einer feindlichen ausländischen Macht“. Ihre Bankkonten werden gesperrt und Anton, zuerst unter Hausarrest, muss sich dann im Sammellager von Toulon melden, wo er sich mit Alfred Kantorowicz anfreundet und wird schließlich im Lager von Les Milles interniert. Dort lernt er Franz Hessel kennen und trifft auf seinen Nachbarn Lion Feuchtwanger. Aufgrund ihres geteilten Leids hat sich ihre Beziehung gebessert. Glücklicherweise wird die Internierung Ende September beendet, aber die Atempause ist nur von kurzer Dauer. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich werden die deutschsprachigen Staatsangehörigen im Mai 1940 erneut in Les Milles interniert. Da es keine öffentlichen Verkehrsmittel nach Les Milles gibt, fahren Lion Feuchtwanger, Anton Räderscheidt mit Ernst Meyer, Ilse Salbergs Sohn, und Alfred Kantorowicz per Taxi zum Lager. Die zweite Internierung ist viel härter und die Auslieferung an die Nazis ist eine dauernde Bedrohung. Aus diesem Grund flüchtet Räderscheidt während eines Zugtransfers nach Bayonne, versteckt sich erst und schafft es dann nach Sanary zurück.

Ilse hat ein Lebensmittelpaket erhalten und am Neujahrstag 1941 bereitet Anton damit ein Essen vor, das sie mit den wenigen noch in Sanary verbliebenen Emigranten teilen. Die Stimmung ist niedergeschlagen, ein jeder fragt sich am ersten Tag des Neuen Jahres, was die Zukunft wohl bringt. An diesem Tag hat Franz Hessel, geschwächt durch die Strapazen der zweimaligen Internierung, einen Herzanfall. Wenige Tage später stirbt er.

Nach Beschlagnahmung ihrer Villa Le Patio durch Mussolinis Truppen im Jahr 1942, werden Anton, Ilse und deren Kinder ins Hinterland nach Barjols ausgewiesen. Ernst Meyer, Ilses Sohn, wird dort verhaftet und deportiert. Anton, Ilse und deren Tochter Brigitte können sich dank Hilfe des Metzgers aus Barjols in die Schweiz absetzen. Nach Ilses Tod geht Anton 1947 nach Paris zurück. Er lernt dort Gisèle kennen, heiratet sie und zieht 1949 mit ihr nach Köln. In den sechziger Jahren kommt er mit seiner neuen Ehefrau und den gemeinsamen Kindern nach Sanary. Er kehrt in der Bar de la Marine ein, hat aber nicht den Mut weiterzugehen… Anton Räderscheidt stirbt 1970 in Köln an den Folgen eines Schlaganfalls.


Die Mediathek Jacques Duhamel in Sanary-sur-Mer bietet eine Sammlung von Büchern zum Thema Erinnerung an das Exil in Sanary.